Lange war die Gegend eher verrucht. Bordelle, Strassenstrich und zwielichtige Lokale prägten das Bild. Heute schwebt ein Hauch Urbanität durch das älteste Quartier ausserhalb der Stadtmauern. Szenige Lokale, angesagte Restaurants und eine gute Portion St.Galler Bodenständigkeit sind heute dort anzutreffen, genauso wie Toleranz. Ein Streifzug.
Text: Das 612-Redaktionsteam
Multikulti, Bars & Pubs
Alles neu: Unten Mikrobrauerei, oben Gaststätte – die Brauerei HERMANN Bier eröffnete Anfang 2021 in einer frisch renovierten Liegenschaft im Linsebühl-Quartier im Osten der Stadt. Vorher befanden sich im Gebäude ein Sexkino und ein Freudenhaus. Firmengründer Marco Hermann sagt: «Mikrobrauerei statt Puff geht problemlos im Linsebühl.» Über 20 Jahre lang leitete Hermann die Organisation der Stadtführungen durch St.Gallen. Jetzt wagte er zusammen mit seinem Geschäftspartner Gianluca Bernet den Schritt in die Selbständigkeit. «Eine tolle, komplett neu eingerichtete Kleinbrauerei und ein Lokal mit 60 Plätzen. Wir haben hier alles, was wir brauchen.»
«Das Linsebühl-Quartier ist trendy. Wir sind gekommen, um zu bleiben.»
Marco Hermann und Gianluca Bernet, Hermann Bier Brauerei & Lokal
An der zentralen Lämmlisbrunnenstrasse reihen sich Bars an Restaurants. Ganz im Osten der Strasse steht der Bierhof: eine Sportbar, wo sich die Fans des FC St.Gallen treffen. Am TV läuft Sport, und die Gäste «tschüttelen», spielen Tischfussball. Das Lokal wird ehrenamtlich von zwei FC-St.-Gallen-Fans geführt. Zwei Häuser weiter empfängt das Traditionslokal Ristorante Toscana seine Gäste. Bei Teodoro (genannt Teo) kommen alle auf ihre Kosten, die gepflegt italienisch essen und Ambiente geniessen wollen. Gleich in der Nähe vom Ristorante gibt’s ein neues Geschäft mit urbanem Konzept: Domino8, so heisst der Laden, ist eine gute Adresse für Second-Hand-Kleidung und Events.
Weiter geht’s mit etwas New-York-Feeling im wohl schmalsten Eckhaus der Stadt. Im Erdgeschoss des markanten Gebäudes trifft sich das ganze Quartier in der entspannten Bar La Buena Onda, die Jiri Vesely zusammen mit seiner Partnerin Iva Medkova führt. Im Nachbar haus strassenaufwärts Richtung Stadtzentrum liegt das Pub Da Slàinte Inn, ein eher rustikaler Ort mit einem grossen Teil englischsprachiger Gäste. Das Caffe Van Gogh gleich nebenan wird von vielen Leuten aus dem Balkan besucht. Kurz vor dem Spisertor Kreisel steht die Piadineria Rimini mit St.Gallens besten Piadine – einer italienischen Sandwich-Spezialität. Wer Griechisch bevorzugt, taucht am besten bei Kostas im Greco in mediterran Inspirierendes ein. Zurück Richtung Linsebühl einen Besuch bei Nannas bunte Küche nicht verpassen. Das Sortiment an edlen Gewürzen und Kräutermischungen bedient alle Sinne. Die Rote-Linsen-Suppe ist legendär (ideal auch zum Verschenken).
Kaffee-Eldorado
Einmal rund um den Kreisel, und schon lockt die Theke des g’nuss mit allerlei Verführerischem: grossartigen, auch leichten Süssigkeiten, zahlreichen Snacks, tollen Mittagsmenüs – alles von den Inhabern Stefan und Claudia handgemacht. Der g’nuss-Brunch am Wochenende ist stadtbekannt. Hier treffen am Sonntagmorgen übernächtigte Partygängerinnen und Partygänger auf unausgeschlafene Jungeltern. Alle brauchen eine Stärkung. Ein paar Häuser weiter oben Richtung Speicher liegt das Kafi Franz – ein schöner, sehr urbaner Ort mit gutem Essen und Wein (und schönem Innenhof). Auch hier ist das grosse Frühstück am Wochenende ein Ereignis.
Im Kaffeehaus an der Linsebühlstrasse wird selbst gerösteter Kaffee kredenzt. Viele kulturelle Anlässe machen das Kaffeehaus zu einem Hotspot im Trendquartier. Nicht erschrecken, wenn der Gastgeber Gallus spontan zum Tanz auffordert. Für Panettone-Liebhaber: La Fabbrica del Panettone von Kultbäcker Pietro Cappelli (mehrfach ausgezeichnet). Und wer bereits dort ist: bei der Kirche Linsebühl im Stil der Neurenaissance kurz innehalten. Sehr eindrücklich: der reich geschmückte Innenraum, die Beleuchtung am Abend.
Entspanntes Nebeneinander
Im Linsebühl hat sich viel getan in den letzten Jahren. Allerdings erscheint das Quartier noch immer etwas ungewaschener als die herausgeputzte Altstadt gleich nebenan. Der Tiffany Night Club ist einer der wenigen Zeugen der anrüchigen Vergangenheit. Heute beherbergt der Club einen Sexshop und ein Gay-Kino. Gegensätze ziehen sich an: Im Haus neben dem Night Club ist eine Freikirche untergebracht.